Es gibt eine gängige Art und Weise, wie die Kompressorparameter Attack und Release erklärt werden. Wie sich herausstellte, wurde eine vereinfachte, aber nicht ganz zutreffende Geschichte zum “Standard” und hat eine falsche Vorstellung von der Mechanik von Attack und Release etabliert.
Ich muss zugeben, dass auch ich in diese Falle getappt bin, damals, als ich an meinen Büchern gearbeitet habe. Hier ist eine Klarstellung:
Bereits 2015 stolperte ich über einen Artikel von Gregory Scott, dem Gründer von Kush Audio, der im Attackmagazine.com veröffentlicht wurde.
Attack:
Wir alle kennen das berühmte Schmatzen, das von einem 1176 mit langer Attack-Zeit erzeugt wird und einen transientenähnlichen Bump auf der Gesangsspur erzeugt oder unterstützt. Der erste Teil des eintreffenden Ereignisses würde “durchrutschen”, bevor der Kompressor mit der vollen Gain-Reduktion beginnt. Dieses Verhalten wurde fälschlicherweise als eine Zeitverzögerung interpretiert, bevor der Kompressor zu arbeiten beginnt, nachdem der Schwellenwert vom Eingangssignal überschritten wurde.
Der Punkt ist, dass dieses falsche Erklärungskonzept dazu beiträgt, das Auftreten dieser signifikanten Unebenheit zu verstehen, aber in Wirklichkeit wird sie durch die nichtlineare Ansprechkurve eines Kompressors erzeugt. Lassen wir die digitale Kompression einmal beiseite, denn digital kann man Dinge tun, die es in der analogen Welt nicht gibt. Du kennst wahrscheinlich diese XY-Kompressionskurven (Abbildung 1). Eine solche Hard-Knee-Kennlinie gibt es in der analogen Welt nicht.
Die meisten analogen Kompressoren schleichen sich mit der Gain Reduction ein und erhöhen die Gain Reduction mit der Zeit. Die verschiedenen möglichen Kurven definieren die Eigenschaften des Kompressormodells und der Bauart.
Die technisch korrekte Definition von Attack: Die Attack-Zeit definiert die Zeitspanne, in der der Kompressor ⅔ der gesamten Gain Reduction Arbeit geleistet hat. Mr. Scott bringt ein hervorragendes und leicht verständliches Beispiel, das so nachvollziehbar ist, dass ich es von ihm übernommen habe:
Um das Konzept des “Attack” bei der Kompression zu verstehen, ist es wichtig, einige Grundlagen der Kompression zu kennen. Stelle dir vor, du hast einen Kompressor mit bestimmten Parametern eingestellt: Einen Schwellenwert von -10 dB und ein Kompressionsverhältnis (Ratio) von 3:1.
- Threshold: Dies ist ein Pegel-Grenzwert, den du im Kompressor einstellst. Er ist wie ein Gate. Wenn das eingehende Audiosignal unter diesem Schwellenwert liegt, arbeitet der Kompressor nicht.
- Compression Ratio: Dieser Wert gibt an, wie stark der Kompressor das Signal oberhalb des Thresholds absenkt. In unserem Fall ist es 3:1, was bedeutet, dass der Kompressor für jede 3 dB, die das Eingangssignal über dem Schwellenwert liegt, nur 1 dB durchlässt.
Wenden wir dies nun auf ein Beispiel an:
– Stelle dir vor, das Audiosignal beginnt bei -11 dB, also unter dem Threshold von -10 dB. Der Kompressor bewirkt an diesem Punkt also nichts.
– Wenn dein Signal nun plötzlich auf -1dB springt, liegt es 9dB über dem Threshold (-1dB – (-10dB) = 9dB).
– Bei einem Ratio von 3:1 will der Kompressor diese 9 dB über den Threshold hinaus steigenden Pegel reduzieren, um das Verhältnis anzupassen. Ziel ist es, den Ausgang nur 3 dB lauter als den Threshold zu machen.
– Um dies zu erreichen, muss der Kompressor die eingehenden 9 dB um 6 dB reduzieren. Diese Reduzierung um 6 dB nennen wir “Pegel Reduzierung” oder umgangssprachlich häufiger Gain Reduction.
Das Wichtigste dabei ist, dass der Kompressor keine Zeit verschwendet. Sobald das Signal den Threshold (-10 dB) überschreitet, beginnt er mit der Reduzierung des Signals entsprechend dem festgelegten Ratio (in diesem Fall 3:1). Die Zeit, die es braucht, um zu reagieren, bezeichnen wir als “Attack-Zeit”. In diesem Szenario geschieht sie sofort, im Gegensatz zu dem Irrglauben, dass die Attack-Zeit eine Verzögerung vor Beginn der Kompression beinhaltet. In diesem Fall entspricht die Attack-Zeit der Zeit, die der Kompressor benötigt, um eine Gain Reduction von 4 dB zu erreichen, was ⅔ der gesamten Gain Reduction entspricht.
Schlussfolgerung:
Der “Smack”, der durch eine lange Attack-Zeit entsteht, kommt nicht von einem Offset. Er entsteht, weil der Pegel der eintreffenden Transiente sehr schnell ansteigt, während die Kennlinie der Pegelreduktion zwar sofort, aber meist sanft ansteigt und die Verstärkung mit der Zeit reduziert. Die durch die eingestellte Attack-Zeit in die Länge gezogene Ansprechkurve (Kennlinie) ist der verantwortliche Faktor für den “Smack” am Ausgang des Kompressors.
Nachdem wir nun Attack, Ratio, Threshold und Gain Reduction behandelt haben, wollen wir uns in Teil 2 dieser kleinen Story mit Release beschäftigen.
Viel Spaß beim Schmatzen!
Friedemann Tischmeyer, Oktober 2023
P.S.: Benutze den DMFF Plug-in Doctor , um die Kennlinien deiner bevorzugten Kompressoren zu verstehen
P.P.S.: Auf dem ersten Bild seht ihr den 1176 mit Attack ganz aufgedreht (irrsinniger Weise bedeutet das beim 1176, dass die Attack minimal kurz ist. Man sieht, dass der resultierende Transient sehr klein ist.
Im zweiten Bild hingegen ist die Attack-Zeit auf maximal lang gestellt (Links-Anschlag) und man sieht einen resultieren “Durchrutscher”, den “Smack”.