Zum Verständnis dieses Beitrags empfiehlt es sich, den Blog-Beitrag #010 (Teil 1) gelesen zu haben. Im Teil 2 beschäftigen wir uns mit den Zielen (Aims), die in der unteren Hälfte des Diagramms grün dargestellt sind und sich auf die drei Bearbeitungsschritte verteilen.
Die Ziele sind klar: Ästhetisches EQing, Tiefe & Dreidimensionalität und natürlich Unity, das sich am Besten mit “Einheitlichkeit” übersetzt. Zuletzt wird im dritten Bearbeitungsschritt auch die finale Lautheit des Masters bestimmt. Aber jetzt nochmal Schritt für Schritt…
Frequenzbalance herstellen:
Dieses Ziel wird im Prinzip in allen drei Bearbeitungsschritten verfolgt.
Im ersten Schritt nehmen wir weg, was maskiert, sofern dies erforderlich ist. Nochmal der Hinweis: Nur, weil ich in einigen Beispielen zeige, wie ich das effektiv mache, heißt das NICHT, dass dies immer erforderlich ist. Demonstrierte Signalketten beziehen sich immer auf das bearbeitete Ausgangsmaterial und müssen an die Situation kreativ und logisch angepasst werden. Über die Aufräumarbeit im unteren Mittenfeld kann das Ausgangsmaterial “danach schreien”, auch in höheren Frequenzbereichen behutsame Dips (Absenkungen) haben zu wollen. Sorgfältiges Hinhören ist unerlässlich! Es gibt vielfältige Ursachen, warum sich in unterschiedlichsten Frequenzbereichen kleine Gemeinheiten einschleichen. Ich selbst arbeite in einer luxuriösen Abhörsituation, in der “piercende” Frequenzen “ins Ohr fallen”, einfach, wenn man sich zurücklehnt, die Augen schließt und zuhört. Fragt euch “nervt etwas?”. Wenn ja, fragt euch “Was nervt genau?”. Auch, wenn ihr das vielleicht etwas bekloppt findet; sprecht mit der vorliegenden Mischung! Das meine ich mit “die Mischung schreit danach”. Eure Mischung trägt im Grunde immer alle Handlungsanweisungen in sich. In dem ihr Fragen stellt, könnt ihr der Mischung diese Information in Form einer Handlungsanweisung entnehmen.
Im zweiten Schritt sorgt ihr für die Kontrolle und arbeitet vornehmlich mit dynamischen Tools, um zum Beispiel die harschen Mitten (~2 bis 4 kHz) in den Griff zu bekommen oder das, was ich so gerne “Zischelkonzert” nenne, was einem besonders häufig bei Hip Hop Produktionen Freude bereitet. All diese kleinen Schritte bereiten die unvollkommene Mischung auf den eigentlichen Masteringprozess vor, der im dritten Schritt vollzogen wird. Die Vorbereitung ist erforderlich, weil der eigentliche Masteringprozess dann besser gelingt. Besonders analoge Hardware weiß diese Vorbereitung zu schätzen. Selbstredend ist nobody perfect. Will heißen, dass spätere Feintunings in Abstimmung mit den Tools der Schritt-Drei-Signalkette absolut normal und zulässig sind. Es ist ein Annäherungsprozess.
Im dritten Schritt kommen dann auf der Frequenzbalance-Ebene eher ästhetische EQs, Multiband-Kompressoren und ggfs. frequenzbezogen eingesetzte Saturierungstools zum Einsatz, um eine ausgewogene Frequenzbalance herzustellen. MS-Tools sind willkommene Helfer, um die Bühne gleichmäßig zu nutzen. Geschlossene Augen wirken Wunder, wenn wir mit den Ohren unabgelenkt auf die Bühne schauen und nach Spots suchen, die überfüllt sind und denen, die ggfs. unterbelichtet sind. Auch das Solo-in-Mitte-Abhören des M- und S-Signals hilft bei dieser Aufgabe (MAAT 2BusControl).
Tiefe und Dreidimensionalität:
… sind zwei Worte, die etwas Ähnliches beschreiben. Wenn wir jetzt wortklauberisch werden, dann beschreibt Tiefe eher das, was von der Lautsprecherebene in die Tiefe geht und Dreidimensionalität das, was sich als Räumlichkeit und Phantomschallquellen von der Lautsprecherebene in den Raum zum Hörer darstellt.
Sowohl auf ITB-Ebene, als auch bei analogen Geräten gibt es zahlreiche Tools, die uns dabei helfen, Tiefe zu erzeugen. Der OP-Amp einer guten Analog-Mastering-Konsole (z.B. SPL DMC) schafft auf einer guten Mischung bereits eine fantastische Tiefe, während er fast neutral reagiert, wenn man die Konsole mit einer mittelmäßigen Mischung füttert. Ein echter Fairchild 670 markiert das obere Ende der luxuriösen 3D-Magie, die wir im Mastering verwenden. Jedoch gibt es auch zahlreiche erschwinglichere Hardware und diverse Software-Tools, die uns dabei helfen können, wenn die Mischung überhaupt danach schreit. Das wäre der gute alte Algorithmix K-Stereo oder der moderne Leapwing StageOne. Ein guter Hall mit einem Ambience Preset, der bedarfsweise Bandpass-limitiert ist, kann auch Wunder wirken. Die Plugin-Welt bietet derweil auch hervorragende Boutique-Mastering-Kompressoren, die ebenfalls dazu in der Lage sind, in gewissem Umfang die Magie der analogen Welt in die Box zu holen. Ihr braucht also nicht unbedingt eine Hypothek aufzunehmen, um einen echten Fairchild in euer Arsenal aufzunehmen. Ich habe übrigens auch keinen, wobei ich noch nicht aufgehört habe, damit lieb zu äugeln.
Unity (Einheitlichkeit):
Für mich ist Unity eigentlich ein Gefühl. In manchen Situationen würde ich es als “geminderte Zappeligkeit” beschreiben. Das passiert dann, wenn viele Einzelteile wild und unbändig, jedoch wohl platziert herumzappeln. Die Mischung fühlt sich unruhig an. Die Anwendung geeigneter Kompression und manchmal auch Limiting ändert das Gefühl der Wahrnehmung positiv. Alles erscheint einheitlicher, jedoch ohne völlig platt gefahren zu sein. Das hat psychoakustische Ursachen. Wenn ich in der Elbphilharmonie sitze und in idealer Hörposition im ersten Rang über der Bühne einem Weltklasse Jazz-Konzert lausche, dann höre ich nicht 1000 Einzelteile, sondern alle Einzelteile in einer Einheit. Woran liegt das? Die Einzelteile reisen durch die gleiche Menge Luft, die auf ähnliche Art wie ein Masterbuss-Kompressor die Schall Einzelteile zusammenfassen. Schließlich müssen ja alle Einzelteile durch den gleichen Widerstand der Wegstrecke Luft wandern. Im Gegensatz dazu sind die vielen Einzelteile einer sehr vollen Produktion mitnichten durch die gleiche Strecke Luft gereist… Es fühlt sich nicht einheitlich an, sondern zappelig. Ein gut eingestellter Mastering-Kompressor schafft Abhilfe. Die sanfte RMS-gesteuerte Amplituden-Bewegung über das gesamte Material kreiert diese psychoakustische Illusion, sofern der verwendete Kompressor mit seinen Kennlinien idealer Weise der Doppellogarithmik unseres Ohres folgt. Das Wort Psychoakustik impliziert, dass wir den Unterschied eher fühlen als hören.
Kompaktheit ist ein Verwandter der Einheitlichkeit. Sie gehen Hand in Hand, haben aber eine unterschiedliche Prägung. Kompaktheit wird eher in Verbindung mit Beat und Bassbereich empfunden. Auch hier geht es wieder um Kontrolle. Eigentlich sind Mastering Engineere Kontrollfreaks. Jetzt ist es raus…. Übrigens ist Parallel-Kompression ein praktischer Helfer, wenn es um Kompaktheit geht.
Angemessene Lautheit:
Bereits der zweite Schritt (Kontrolle) sorgt automatisch für mehr Lautheit, weil die unkontrollierten Peaks in verschiedenen Frequenzbereichen, die zuerst den Limiter triggern würden vorkontrolliert sind, was dazu führt, das der finale Limiter erst später anfängt in den Arbeitsbereich zu gehen; ergo, es wird lauter. Die eigentliche Lautheits-Einstellung erfolgt jedoch erst im dritten Schritt. Die Spielarten sind vielfältig: Der eine Mastering Engineer zieht vor, den AD-Wandler zu clippen und der andere zieht den ITB-Limiter oder eine Kombination aus zwei Limitern oder Clipper und Limiter vor. Das hängt alles natürlich von den komplexen, in anderen Blogbeiträgen bereits beschriebenen Entscheidungsprozessen ab.
Ich hoffe, hiermit etwas Licht ins Dunkel der Mastering-Magie gebracht zu haben.
In diesem Sinne – happy Mastering!
Friedemann Tischmeyer, September 2023