Aus welchem Grund auch immer, mein Gehirn ist irgendwie so gestrickt, dass ich komplexe Vorgänge unmittelbar und spielend in Schematiken herunterbrechen kann. In diesem Fall hat mich ein anregender Austausch mit meinem wundervollen und geschätzten Kollegen und MA-Coach Farzad dazu angeregt, die drei von mir gerne postulierten Mastering Bearbeitungsschritte in einen etwas größeren Kontext zu stellen. Das Ergebnis ist das “Mastering Workflow Diagramm”.
In Teil 1 des Blog-Beitrags gehe ich auf die obere Hälfte der Grafik ein und im nächsten Blog-Beitrag gehe ich auf die Ziele (Aims) ein.
Erster Bearbeitungsschritt: Wegnehmen, was zu viel ist
Meinen Mastering-Studierenden empfehle ich, sich zu Beginn des Bearbeitungsprozesses darauf zu konzentrieren, nach Dingen Ausschau zu halten, die vielleicht zu viel sind und diese behutsam zu reduzieren. Die Betonung liegt hier gleichmäßig auf “behutsam” und “Ausschau halten” verteilt, denn es passiert immer wieder, dass dieser Bearbeitungsschritt etwas über-interpretiert wird. Ich nutze für diesen Prozess einen geeigneten chirurgischen EQ (in meinem Fall den MAAT thEQorange) und schaue, ob vor allem im unteren Mittenbereich übermäßige Resonanzen das Klangbild maskieren. Dies in angemessener Weise zu praktizieren erfordert ein wenig Übung aber auch eine geeignete Abhörsituation, die einem eine ehrliche akustische Aussage in Bezug auf die Balance des unteren Mittenfeldes liefert. Wir sprechen über ca. 150 bis 350 Hz.
Ich bitte dringend darum, mich nicht auf diese Angabe festzunageln, da es natürlich auch Mischungen gibt, die vielleicht ein Resonanzproblem bei 115 Hz oder 986 Hz oder sonst wo haben. Es geht bei solchen Angaben um die am häufigsten zutreffende Wahrscheinlichkeit. Nun, ich zeige in Bearbeitungsbeispielen innerhalb unserer Module, wie effizient dieser Vorgang helfen kann, durch diese Demaskierung das Gefühl einer Mischung dahingehend zu optimieren, dass sie sich nicht mehr nervig gedrungen anhört, sondern befreit. Ich möchte eigentlich lieber sagen, die Mischung fühlt sich freier an. Fühlen ist hier eine wichtige Sache. Wie die meisten wissen, nenne ich das “Emotionales Hören”.
Hier ein paar Anhaltspunkte, um die richtige Dosis bei der Reduktion von Resonanzen zu finden:
1. Höre auf deinen spontanen ersten Höreindruck. Häufig zeigen sich hier Resonanzen, an die sich das Gehör jedoch rasend schnell gewöhnt, wenn man nicht die frischen Ohren nutzt, um sie ausfindig zu machen.
2. Übe tatsächliche Resonanzen (z.B. sich überlagernde Instrumente oder Raummoden) von dem Ringing zu unterscheiden, dass jeder EQ erzeugt, wenn du mit plus 12 dB durchs Spektrum sweepst.
3. Es ist nur selten ratsam, mehr als maximal 3 bis 4 dB herauszuziehen, insbesondere mit einem linarphasigen EQ.
4. Nutze die Funktion “negative Differenz” von deinem EQ, um zu überprüfen, ob es sich wirklich um die störenden Resonanzen handelt, die du versuchst zu kontrollieren.
5. Überprüfe, ob die Mischung durch die Reduktionen zu sehr an Wärme verliert und kompensiere bedarfsweise mit einem breiten minimalphasigen Bell oder Saturation.
6. Wenn immer noch deutliche Resonanzen vorhanden sind, mache mit einem Dynamic EQ weiter, der nur greift, wenn die Resonanz temporär auftritt.
7. Überprüfe, dass deine Einstellung nicht zu einem unbalancierten Bass-Response führt (ist die Basslinie noch gleichmäßig laut?).
8. Häufiges trainieren wird dazu führen, dass du die Probleme auch ohne Sweepen sofort hörst.
9. Nicht alle Mischungen haben hier Probleme. Also Finger weg, wenn die Mischung im unteren Mittenbereich gut kontrolliert ist.
Der erste (und zweite) Bearbeitungsschritt ist dem Bereich Mixing & Mastering zugewiesen, weil diese Probleme in einer Mastering-fertigen Mischung eigentlich nicht auftreten sollten. In der Mastering-Praxis trifft das leider nicht immer zu, was uns dann veranlasst, dieses Problem an Stelle des Mixing Engineers zu beheben.
Zweiter Bearbeitungsschritt: Kontrollieren, was unkontrolliert ist
Unseren Mixing Studenten bringen wir bei, die Mischung zureichend zu kontrollieren, sodass der Mastering-Engineer sich auf das eigentliche Mastering, den dritten Schritt im Mastering Workflow Diagramm, konzentrieren kann. Das ist ideal für den Gesamtprozess und das Ergebnis, entspricht aber auch heutzutage nicht mehr gängiger Praxis, sodass wir Mastering Engineere uns auch hier wiederfinden, den Mischprozess für den Mixing Engineer zu vervollständigen.
Unkontrolliert ist alles, was aus der “Norm” herausfällt. Wenn man sich auf dem Graphic Analyser eine Kennlinie für das Genre, das man gerade mastert vorstellt, dann ist alles, was aus dieser Kennlinie temporär herausbricht, etwas, das kontrolliert werden muss. Alles, was pegelmäßig nach oben ausbricht, wird zuerst den Limiter triggern und im schlimmsten Fall Löcher in unser Hirn bohren, wenn z.B. unkontrollierte Zischel- und S-Laute den Weg zu unseren Ohren finden. Es kann sich aber auch um Harschheit in den Mitten zwischen 2 und 4 kHz handeln oder ein dynamisch unkontrolliertes, durch einen laufenden Filter ungezähmtes Synth-Arpeggio.
Warum all dieser Kontroll-Wahnsinn?
Alles, was wir nicht gut kontrollieren und integrieren, schlägt gnadenlos zurück, wenn es daran geht, die gewünschte Lautheit zu erreichen. Es ist leider sehr viel besser, diesen Prozess während des Mixings zu durchlaufen, weil viel granuliertere Eingriffsmöglichkeiten vorhanden sind, die bei guter Ausführung zu einem besseren Endergebnis führen.
Die genutzten Tools für Bearbeitungsschritt zwei sind Multiband-Kompressoren, De-Esser, Splitband-Kompressoren, Dynamic EQs und De-Harsching-Tools (z.B. Oeksound´s Soothe).
Dritter Bearbeitungsschritt: Ästhetisches Polieren
Hier kommen wir endlich zu dem eigentlichen Mastering Prozess. Früher hat hier das Mastering erst begonnen, weil es die anderen Tools noch gar nicht gab. Ich kann es nicht häufig genug sagen: Je besser die Mischung, desto besser das Master. Eine gute Mischung ermöglicht eine kürzere Mastering-Kette, die mit kleineren Schritten eine größere Wirkung entfaltet und am Ende kommt ein Master heraus, was genauso klingt wie die Mischung; nur eben größer, tiefer und zusammenhängender.
Klassischerweise wird hier häufig rein analog gearbeitet. Je nach Situation wird die analoge Signalkette am Ende in der DAW noch durch Limiter o.ä. ergänzt, also hybrid gearbeitet. Bei guter Wahl der Tools gepaart mit fachkundiger Einstellung sind heutzutage auch immer mehr Mastering Engineere auch hier “In The Box” (ITB) unterwegs. Das bleibt jedem selbst überlassen.
Jetzt könnte ich mich noch in einem Blog-Beitrag zu dem WARUM dieser Reihenfolge der drei Bearbeitungsschritte auslassen. Aber ich glaube, das wird ausreichend in unseren Modulen und Coachings behandelt.
Mehr zu den Zielen (Aims) schreibe ich im Teil 2 des Blog-Beitrags.
Happy Mastering!
Friedemann Tischmeyer, September 2023